Sie ist eine Ikone des deutschen Schlagers
und singt mittlerweile Jazz im Berliner Dialekt.
die Schwulenszene und Dieter Bohlen –
der im Musikgeschäft immer wieder "vor- und hochkommt".
Marianne Rosenberg kam 1955 in einer Berliner Künstlerfamilie zur Welt.
Ihr Vater, Otto Rosenberg, hatte Auschwitz überlebt und machte sich
als Verbandsvorsitzender um die deutschen Sinti und Roma verdient.
Mit 13 gewann Marianne Rosenberg einen lokalen Talentwettbewerb,
der ihr einen Plattenvertrag bescherte.
Ihr erster Schlager hieß 1970 „Mr. Paul McCartney“.
Foto: Lola Lounge Mit 14 Jahren gewinnt sie ihren ersten Talentwettbewerb. Heute ist sie mehr als nur ein Schlagerstar: Marianne Rosenberg.
Mitte der Siebziger feierte sie ihre größten Erfolge mit
„Er gehört zu mir“, „Ich bin wie du“, „Lieder der Nacht“ und „Marleen“.
Dagegen scheiterte sie regelmäßig am Vorentscheid zum Grand Prix Eurovision.
In den Achtzigern sang sie mit Musikern der Neuen Deutschen Welle,
schrieb politische Lieder und ließ sich als Ikone der Schwulenbewegung feiern.
Momentan singt sie Jazz und Chanson
und veröffentlicht in dieser Woche das Album
„I'm A Woman“ (Lola Lounge).
WELT ONLINE: Täuscht der Eindruck,
oder wird Jazz in der Regel tiefer gesungen als Schlager?
Marianne Rosenberg: Ach, das kann man einrichten.
Für mich ist das Tiefere ganz angenehm.
All die Tonlagen, die erst mit dem Älterwerden hinzugekommen sind.
Die sind klasse. Ich entdecke eine neue, sehr angenehme Stimme in mir.
WELT ONLINE: Das Hohe ist aber noch da?
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Rosenberg: Das Hohe ist noch zu hören.
Die Komponisten im Jazz durchmessen ja ganz andere Tonräume.
WELT ONLINE: Jazz wirkt bei Schlagersängern traditionell entschuldigend.
Gitte, Caterina Valente, Nana Mouskouri –
alle weisen gern auf Vorleistungen im Jazz hin.
Rosenberg: Ich glaube nicht, dass ich mir darüber noch Gedanken machen muss.
Ich habe früher Musik gemacht, die manche als Schlager bezeichnen.
Für mich war es der Sound Of Philadelphia.
Das war amerikanische Musik, die ich eingedeutscht habe.
WELT ONLINE: Jetzt wollen wir aber eine Definition des Begriffs Schlager hören!
Rosenberg: Eine auf Marsch begründete Musik.
Einfach gestrickt, zum Mitklatschen.
Schon deshalb war ein Song wie „Marleen“ kein Schlager.
Mit 25 habe ich mit einem solchen Stempel gehadert.
Heute bereue ich nichts.
Ich habe ja den ganzen Unsinn, den ich gesungen habe, geglaubt.
Das Leben war dann letztlich anders.
Wenn also jemand das Recht hatte, solche Texte zu singen,
dann diese junge Frau, die ich damals war.
WELT ONLINE: Mit ihren aktuellen Songs berufen Sie sich auf
den deutschen Pop der Vorkriegszeit.
Galt Schlager damals schon als anrüchig?
Rosenberg: Das weiß ich gar nicht. Ich weiß nur, dass es in den Siebzigern
in Deutschland dreierlei gab: Schlager, Rockmusik und Liedermacher.
Keinen Pop. Der wuchs erst noch heran.
Zum Beispiel war „Ich bin wie du“ schon Disco.
Dazu wurde getanzt, in Clubs.
Aber jemand wie ich war ohnehin immer eine Projektionsfläche.
Ich bin eine Fiktion. Ich bin ebenso wenig Marianne Rosenberg wie Sie.
Ich trage natürlich eine Identität mit mir herum.
Aber die Bühnen- und Fernsehfigur kann niemand wirklich sein.
WELT ONLINE: Hat der Nationalsozialismus die deutsche Poptradition ausgelöscht?
Rosenberg: Auf jeden Fall hätten wir in den Fünfziger- bis Siebzigerjahren
eine andere Musikkultur gehabt,
wenn nicht all die Talente ermordet und vertrieben worden wären.
Erst danach hat sich wieder eine eigenständige Popmusik entwickelt.
Aber man darf nicht vergessen: Pioniere wie Ton Steine Scherben
waren Subkultur und ihre Lieder nie wirklich im Land verbreitet.
WELT ONLINE: Rio Reiser hat nach Ton Steine Scherben
Liebeslieder gesungen und unter dem Schlagervorwurf gelitten.
Rosenberg: Viele hielten Rio für einen Verräter.
Ja, es ist ein deutsches Problem.
Nur hier konnte es für Furore sorgen, wenn ich mit Blixa Bargeld auf der Bühne stand.
Vielleicht verwirrt es Deutsche besonders,
wenn etwas nicht da ist, wo sie es wähnen.
Sie möchten klare Regeln: Wer macht was? Von wem ist was zu erwarten?
WELT ONLINE: Wer hat denn in den Achtzigerjahren
an die Poptradition der Vorkriegszeit angeknüpft?
Rosenberg: Die Punks, die Musiker der Neuen Deutschen Welle.
Die haben sich auf die Bühne gestellt, sobald sie ihre Gitarren halten konnten.
Ideal mit Annette Humpe oder Spliff mit Nina Hagen und ihr Album „Unbehagen“.
Diese Generation war von Krieg und NS-Zeit weit genug entfernt,
um sich damit noch belasten zu müssen.
Sie war auch künstlerisch befreit.
WELT ONLINE: Ihr Vater hat Auschwitz überlebt.
Welche Rolle spielt Ihre Herkunft für Ihre Künstlerbiografie?
Rosenberg: Herkunft spielt immer eine Rolle.
Allein, dass ich mit 14 auf der Bühne stand und sang,
und dass meine ganze große Familie,
meine sechs Geschwister und mein Vater meiner Karriere zuarbeiteten
und mich begleiteten, das hing selbstverständlich mit der Vergangenheit zusammen.
Meine Familie betrachtete meine Berühmtheit nach Auschwitz als Geschenk.
WELT ONLINE: Alles begann mit einem Talentwettbewerb.
Darf man sich den vorstellen wie ein heutiges Casting?
Rosenberg: Auch ich habe einen Plattenvertrag gewonnen.
Da war ich 13.
Damals haben allerdings noch nicht Millionen dabei zugeschaut,
und keine Jury hat einen öffentlich herunter geputzt.
Der Mensch wurde mit Würde behandelt und weniger als Ware.
WELT ONLINE: 1989 haben Sie mit Dieter Bohlen den Song
„I Need Your Love Tonight“ aufgenommen und waren damit sehr erfolgreich.
Rosenberg: Es hat eine halbe Stunde gedauert. Das Aufnehmen, meine ich.
WELT ONLINE: Also ist Bohlen in der Tat der Titan des deutschen Pop?
Rosenberg: Er ist nicht unmusikalisch.
Er könnte schon ganz passabel Musik machen.
Statt dessen sorgt er heute dafür, dass er immer wieder vor- und hochkommt.
Wie ein Ertrinkender.
WELT ONLINE: Wie und wodurch wird man eigentlich
zum Idol der so genannten Schwulenszene wie Sie?
Rosenberg: Also wie, weiß ich auch nicht.
Aber 1973 habe ich einen Schlager gesungen, der hieß
„Fremder Mann, schau mich an, du bist schuld daran“.
Das war offensichtlich der Schlüssel zur Schwulenszene.
Es ging in meinen Lieder oft um Männer, die man nicht bekommt.
Und politisch gesehen:
1973 lebten schwule Männer ihre Sehnsüchte nur ausnahmsweise aus.
Als ich 16 war, musste mein Produzent mich noch darauf aufmerksam machen.
Der hat noch nicht veröffentlichte Stücke von mir
in Diskotheken getestet, auch in Schwulenclubs.
Der hat das Phänomen entdeckt und die Musik auch darauf hin produziert.
WELT ONLINE: „Mr. Paul McCartney“ war ein Schlager für Schwule?
Rosenberg: Nein. Anfangs haben Männer für mich Lieder erfunden,
von denen sie glaubten, dass sie kleine Mädchen wie mich beschäftigten.
Ich lege sie heute noch auf. Und zwar als Vinyl.
Dann denke ich: Meine Güte!
Verstehe aber auf der Stelle, warum das die Zuhörer damals so gefesselt hat.
Da klingt jedes Wort, als wäre es wahr.
Diese Naivität, die Andacht. Wie anrührend, dieses Wesen:
Stellt sich auf die Bühne und kräht alles heraus.
Was für ein merkwürdiges Kleid es sich wieder heraus gesucht hat
für die ZDF-Hitparade, völlig deplaziert und ulkig.
WELT ONLINE: Und heute singen sie Jazz im Berliner Dialekt.
Rosenberg: Es gibt ja eine Tradition.
Von Claire Waldoff über Kurt Tucholsky bis zur Ostberlinerin Helga Hahnemann,
auch hier mit einem Bruch in der NS-Zeit.
Das Berlinische ist melodiös und weich.
Kitsch und Pathos vermeidet es grundsätzlich.
Im Berlinischen ist sogar Ironie hörbar.
WELT ONLINE: Ist das Berlinische bedroht?
Rosenberg: Als die Mauer weg war, schien es,
als hätten die Ost-Berliner den Dialekt für uns aufbewahrt.
Sie waren eingesperrt und ihre Sprache wurde weniger verwässert.
WELT ONLINE: Vor allem galten proletarische Mundarten
in der DDR nicht als sozialer Makel.
Günter Schabowski berlinerte noch,
als er vor aller Welt die Mauer zur Öffnung freigab.
Rosenberg: Na jut.
Berlin besann sich jedenfalls wieder stärker auf seine wunderbare Sprache
und ist heute wieder eine humorvolle Weltstadt,
wie sie es zuletzt vor dem Krieg war.
Das darf man hören. Auch im Schlager.
WELT ONLINE: Wie Ihren charmanten S-Fehler.
Rosenberg: Der war doch auch lustig.
Er kam daher, dass ich mir als Kind den Akzent von Connie Francis angewöhnt hatte.
Ich fand das schick, habe es später aber selber begradigt.
WELT ONLINE: Ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen:
Der S-Fehler ist immer noch da beim Singen.
Rosenberg: Nö.
Da müssen Sie ganz genau hin hören. Nicht mehr da.
Quelle: welt.de
Autor: Michael Pilz